Unterwegs im Reich der Riesenseerose
Wer auf dem Rupununi River im Herzen Guyanas reist, begegnet überaus merkwürdigen Geschöpfen, gewaltigen Rosen, die sich nur zur Dämmerung öffnen – und den vielleicht freundlichsten Ottern Südamerikas.
Auch nach fünf Stunden hat sich das Auge nicht sattgesehen. Weder des vorübergleitenden Dschungels ist es überdrüssig geworden, noch der Tiere, nicht einmal des Wassers. Trübe wie Tee strömt es gegen den Bug des kleinen Bootes. Mit gerade
einmal 15 PS tuckert unser Außenbordmotor stromaufwärts. Deshalb und wegen der ausladenden Schleifen, in denen sich der Rupununi River durch den Südwesten Guyanas schlängelt, dauerte die Fahrt von Rewa Eco-Lodge nach Yakarinta eben jene fünf
Stunden. Luftlinie sind beide Orte gerade einmal 30 Kilometer voneinander entfernt. Nur einmal gibt es an einer sandigen Flussgabelung eine Pause, die übrige Zeit verbringt man auf einem Bänkchen ohne viel Beinfreiheit, aber dafür mit der
Wildnis des Rupununi als Entertainment-Programm.
Von Menschen ist kaum etwas zu sehen. Ein einziges Boot kommt uns entgegen. Vereinzelt sieht man Einbäume am Ufer liegen.
Guyana hat weniger Einwohner als Frankfurt am Main – und die leben fast alle an der Küste, nicht hier, wo der Regenwald, der noch fast das ganze Land bedeckt, durchzogen vom Rupununi mit seinen Uferwäldern und
abgeschnittenen Flussarmen voller Kaimane und Riesenseerosen. Vögel lieben eine derart abwechslungsreiche Landschaft, gut 400 Arten sollen hier zu beobachten sein. Die Savanne dahinter erinnert an Ostafrika, etwas buschiger vielleicht.
Irgendwann biegt das Boot in einen stillen Seitenarm des Rupununi ein, den Simoni Creek. Er führt zunächst tunnelartig eng unter dem Geäst hindurch, weitet sich dann aber zu einem großen See. Das Wasser ist nun spiegelglatt und verdoppelt so
die in der Abendsonne aufglühende Urwaldvegetation. Allein das einstündige Gleiten durch diese Zauberwelt wäre Grund gewesen, hierherzukommen.



Am allerhintersten Winkel des Simoni Creek ist das Wasser so still, dass dort etwas gedeiht, was es sonst nur in den ganz vom Fluss getrennten Tümpeln hinter dem Uferwald gibt: Die Riesenseerose Victoria amazonica, der Star der Gewächshäuser in den großen Botanischen Gärten Europas. Hier ist ihr Reich. Ihre enormen kreisrunden Blätter liegen flach auf dem Wasser, die Ränder aufgestellt und nach außen hin dornenbewehrt. Rosa Blüten welken vor sich hin. Sie waren die Attraktion des Vortags. Zwei kinderkopfgroße Knospen schwimmen dort ebenfalls, und hinter den Spalten ihrer Deckblätter schimmert es in dem reinsten Weiß, das sich vorstellen lässt. Aber nur eine der beiden wird sich heute Abend öffnen, zehn Minuten nach unserer Ankunft. Das Schauspiel beginnt pünktlich mit dem Sonnenuntergang. Bei aller Großartigkeit ist es für Menschen einer Zeit, in der alles einen Fast-forward-Knopf hat, auch einigermaßen irritierend.
Denn die Blüte öffnet sich im Verlauf von einer halben Stunde – so langsam, dass der starrende Blick keinerlei Bewegung bemerkt, aber doch so schnell, dass er nicht eine Sekunde woandershin schweifen will. So verdämmert ringsherum alle Landschaft unbeachtet bis zur schwärzesten Finsternis, und die wahrgenommene Welt konzentriert sich ganz in dem aufquellenden Weiß der Riesenblüte. So lässt sich auch gar nicht sagen, wann genau Wally seinen Handscheinwerfer angeschaltet hat. Denn anders als die Käfer, die nun heranschwirren, um in der Blüte die Nacht und den folgenden Tag zu verbringen, können wir keine Wärmestrahlung sehen. Es heißt, die Blüten der Victoria amazonica würden sich für die Käfer so erwärmen, dass man das bei einer Berührung mit der Hand spüren könnte. Dazu bringt uns das Boot aber nicht nahe genug heran. Einerlei. Nun sind nicht nur die Augen satt, und die Dunkelheit ist während der Rückfahrt fast eine Erleichterung.





